"Herz öffnen und einfach machen!" - Gelebte Integration im Rot Weiß Kiebitzreihe e.V.
Hier gibt es keine Barrieren: Der Rot Weiß Kiebitzreihe e.V. aus Schleswig-Holstein ist weit über die Vereinsgrenzen hinaus für seine hervorragende Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung bekannt. Ein großer Teil dieses Erfolgs im Para-Bereich ist Martina Lüdders zu verdanken. Im Interview erzählt sie, wie es ihr gelungen ist, den Verein so inklusiv zu gestalten, wie der Trainingsalltag aussieht und was aus ihrer Sicht getan werden muss, um junge Para-Talente mehr zu fördern.
Martina und ihr Verein sind ein großartiges Beispiel für gelebte Integration und damit hoffentlich eine Inspiration für viele andere Vereine.
In diesem Sinne: "Herz öffnen und einfach machen!"
Du bzw. dein Verein ist im Para-Bereich sehr aktiv. Wie kam es dazu?
Vor vielen Jahren kam ein geistig beeinträchtigter Jugendlicher in mein Training. Ein anderer Junge bat darum ein kompliziertes Spiel zu spielen. Zunächst lehnte ich das Spiel ab, um den Para-Sportler zu schützen. Nach einigen Trainingseinheiten und Bitten erklärte ich das Spiel schließlich und wollte ihm ggf. zur Seite stehen. Zu meiner Überraschung stand der Para-Sportler mutig in der ersten Reihe, während andere, auch Akademiker, zurückhaltend waren. Das hat mich bereits begeistert – aber es kam noch besser! Er war der Einzige, der Punkte für sein Team holte. In diesem Moment lernte ich mehr als je zuvor und entschied mich, Kinder im Parabereich umfassend zu fördern. Hier erhielt ich sofort vollen Zuspruch von der Vereinstrainerin im Vollkontakt, Denise Liedtke, die sich auch in ihrem Beruf für Inklusion einsetzt.
Inzwischen leite ich wöchentlich sieben Trainingseinheiten, davon fünf inklusiv, sowohl im Verein als auch an einer inklusiven Schule. Zudem bin ich seit kurzem im Referententeam für Inklusion in Workshops beim Landessportverband aktiv.
Wie sieht der Trainingsalltag bei euch aus? Gibt es Besonderheiten?
Im Wesentlichen gleicht mein Training dem in anderen Vereinen. Wir üben dieselben Techniken und sind füreinander da. Schaut man sich jedoch mein Training an, mag einem auffallen, dass bis zu acht Parasportler Seite an Seite mit allen anderen auf Prüfungen und Poomsae-Turniere hinarbeiten. Ein Sportrolli hat seinen festen Platz in der Halle, der herausgeholt wird. Vielleicht sieht man, wie ein 12-Jähriger mit Down-Syndrom als 1. Kup souverän das Dehnen für 30 Sportler anleitet. Auch, dass ein Kind im Rollstuhl einem ohne Einschränkungen den Dwit-Gubi erklärt oder die vierte Form beibringt. Man hört mitunter Musik, und vielleicht spielt ein Jugendlicher mit einem Kind, das eine kurze Pause benötigt. Der Wechsel zwischen Konzentration, Auspowern und Spiel sowie eine gewisse Regelmäßigkeit könnte auch ins Auge fallen. Lob und Applaus gehören natürlich dazu sowohl für sportliche Leistungen als auch für das „DO“!
Para-Taekwondo steckt in Deutschland leider noch immer in den Kinderschuhen, vor allem im „Leistungsbereich“. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass andere Länder schon viel weiter sind als wir?
Erst wenn wir dem gesamten Parabereich denselben Stellenwert einräumen wie dem Nicht-Parabereich, können wir vergleichbare Erfolge erwarten. Solange es jedoch als etwas Außergewöhnliches betrachtet wird, das nur am Rande stattfindet, bleiben wir zwar bemerkenswert, aber selten. Erhofft man sich in Zukunft höhere Teilnehmerzahlen, so müssen wir in die Zukunft investieren, und die Zukunft sind zweifellos die Kinder.
Einige internationale Poomsaeturniere bieten keine Para-Klassen an oder teilweise nur für bestimmte Klassen. Die letzte EURO und WM sah die Teilnahme erst ab 18 Jahren vor und die aktuelle Weltmeisterschaft in Bahrain, ab 16 Jahren. Die DTU könnte gezielt andere Turniere, wie die Croatia Para Poomsae Open als Maßnahme etablieren, die die Para-Jugend in allen Klassen einbeziehen, um fundierte Ausbildung und wertvolle Wettkampferfahrung für Team GER zu ermöglichen. Hier hat in der Vergangenheit auch die nationale Klassifizierung ausgereicht, bzw. ein Attest. Ein eigener Vorhabenplan für den Para-Bereich mit diesen Turnieren ist ebenfalls nötig.
Fände sich ein Sponsor, der sich für Inklusion und die Jugend im Para-Sport einsetzt, wäre es eine wertvolle Unterstützung, welche die DTU im Parabereich nachhaltig stärken würde.
Sollten tatsächlich Poomsae-Klassen für geistige Behinderungen und Trisomie 21 ins paralympische Programm aufgenommen werden, ist schnelles Handeln nötig. Länder wie Kroatien sind hier mit hoher Teilnehmerzahl bei Turnieren ein Vorbild. Auf der Para WM in Bahrain 2024 (ab 16 Jahre) können sie bis zu 15 Sportler entsenden und aus dem eigenen Land meldeten sich bis zu 65 Para-Sportler auf den Croatia Para Poomsae Open 2024. Ich hoffe, dass auch wir eines Tages dieses Niveau erreichen und werde mein Bestes geben, um unsere Teilnehmerzahlen zu steigern. Denn letztendlich obliegt es jedem Einzelnen von uns, einen kleinen, aber bedeutsamen Beitrag zu leisten, um Hindernisse zu überwinden, das Herz zu öffnen und das in unserer Macht Stehende zu verwirklichen.
Was muss deiner Meinung nach, getan werden, damit junge Para-Talente mehr gefördert werden?
Der Fokus sollte auf Inklusion gelegt werden. Verstärkte Fortbildungen und mehr mediale Präsenz sind da essenziell, auch um Hemmungen schon auf Vereinsebene abzubauen. Viele Landesverbände unterstützen dies bereits, und aufgrund der natürlichen Inklusivität unseres Sports sind im Grunde keine zusätzlichen Trainingszeiten nötig. Trainer könnten hier aus einem “Werkzeugkasten” von Ratschlägen schöpfen, um inklusives Training flexibel zu gestalten.
Alle Landesverbände sollten eine Vorbildfunktion übernehmen, besonders im Leistungssport, wo es noch Lücken gibt. Solange in einem Landesverband Para-Bundeskaderathleten nicht für ihren eigenen Landesverband antreten dürfen, weil dort keine Para-Kaderstrukturen existieren und erst über den Breitensport über Jahre aufgebaut werden sollen, bleiben die Dobok-Rücken dieser behinderten Kinder bei Deutschen Meisterschaften unbeschriftet – selbst bei Bundeskaderathleten mit NK1-Status. Dort müssen weitere Barrieren abgebaut werden, um professionelle Ausbildung, gerechte Teilhabe und Förderung zu ermöglichen.
Kannst du deine Erfahrungen mit uns teilen, wie gute Inklusion funktionieren kann? Welche Tipps kannst du anderen Vereinen mitgeben?
Im Grunde geht es nur darum, die jeweils individuelle Lösung für den Sportler zu finden. Es ist nicht wichtig, ob wir im Rollstuhl sitzen oder mehr Pausen brauchen. Es sollte nur völlig normal sein, dass es so ist. Für alles findet sich eine Möglichkeit oder Methode, die in unser Training passt. Ich integriere die Jugend abwechselnd in Assistenzaufgaben, stärke „das Uns“ und lasse auch mal ein Perspektivwechsel zu, um die Poomsae im Rollstuhl auszuprobieren. Lob und stets zu wissen, dass die kleinen Schritte die Größten sind, gehören dazu. Am Ende des Tages ist aber nur eines wichtig: Herz öffnen und einfach machen!